Kirchengeschichte

 
Die Pfarrkirche St. Michael in Seeshaupt
 

Die Lage des Ortes am südlichen Ende des Starnberger Sees hängt, wie es scheint, mit der Wahl des hl. Michael als Kirchenpatron zusammen. Der Erzengel Michael wurde seit der Spätantike immer wieder mit dem Wasser in Verbindung gebracht. Er galt auch als Geleiter der Seelen Verstorbener, die nach überkommenen heidnischen Vorstellungen auf dem Weg ins Jenseits ein Gewässer zu überqueren hatten. Die Seeshaupter Kirche war im Mittelalter (1346) der religiöse Mittelpunkt von neunzehn Fischeranwesen. Eine erste Siedlung war sogar bereits in einer Urkunde des achten Jahrhunderts erwähnt worden.

Das hiesige Gotteshaus entsprach in seiner ursprünglichen Gestalt dem Typus einer romanischen Chorturmkirche, einer Kirche also, in welcher das Erdgeschoß des Turmes als Chorraum fungierte. Die heutige Annakapelle (im nordöstlichen Teil der jetzigen Kirche) bildete das Langhaus. Die Mauern der Kapelle und der dazugehörige, heute abgetrennte, untere Teil des Turmes mit dem ehemaligen Chorbogen und Chor dürften noch aus dem 12. Jahrhundert stammen. In einer Modernisierungsmaßnahme wohl des frühen 14. Jahrhunderts wurde im alten Chorraum (also im Turm) ein Kreuzrippengewölbe eingezogen.

Eine Urkunde aus dem Jahre 1352 besiegelte den Verkauf der Kirche durch den Grafen Walram von Seefeld an das Augustinerchorherrenstift Polling, das die Seelsorge bis 1479 betrieb. Damals wurde die Kirche, nachdem sie im Tausch gegen Marnbach in den Besitz des nahen Chorherrenstifts Bernried gelangt war, zur Pfarrkirche erhoben. Das war Grund genug für die neuen Patronatsherren, einen gotischen Neubau zu beginnen. Bei dieser Gelegenheit wurde das alte Langhaus nicht abgerissen, sondern als Seitenkapelle des daneben entstandenen neuen Saalraumes beibehalten. Das neue Langhaus umfasste drei Joche. Die Einweihung fand am 22.8.1487 statt. Bausubstanz dieses gotischen Gotteshauses ist im vorderen Teil der heutigen Kirche noch erhalten. In der Zeit des Barock erfuhr das Bauwerk eine grundlegende Umgestaltung.

Der viereckige Turm erhielt ein achteckiges Obergeschoß und eine Zwiebelhaube. Die bis dahin spitzbogigen Fenster wurden gleichzeitig durch die modernere Form von Fenstern mit oben und unten eingezogenen Bögen ersetzt. Die Gewölberippen wurden entfernt und stattdessen Stuckzierat angebracht. Alle diese Maßnahmen hat den Forschungen von Karl Mindera und Wilhelm Neu zufolge wahrscheinlich um 1670 / 80 der Wessobrunner Kaspar Feichtmayr durchgeführt, der seit 1662 in Bernried ansässig war.

Im 18. Jahrhundert (wohl auch schon im 15.) enthielt die Kirche dem Dekan Franz Sales Gailer zufolge drei Altäre: Den St. Michael geweihten Hochaltar, den "Frauenaltar" links, der Gottesmutter und St. Agatha sowie Katharina geweiht, den Altar auf der Epistelseite mit den hll. Joseph, Johannes Evangelist und Wolfgang.

Außerdem gab es in der Annakapelle den Annenaltar, der 1708, wahrscheinlich mit einer Rahmung aus Stuck, neu gestaltet wurde. Etwa zu dieser Zeit scheint auch der spärliche Rahmenstuck am Gewölbe der Kapelle angebracht worden zu sein, der an die Stelle eines spätgotischen Netzgewölbes trat. Die angeblich reiche Erscheinungsform der Altäre war durch eine (bis ins 20. Jahrhundert bestehende) Bruderschaft zum hl. Michael mitfinanziert worden. Von der barocken Einrichtung sind einzig zwei Büsten der hl. Petrus und Paulus erhalten geblieben, die wohl um 1770 / 80 im Umkreis oder in der Nachfolge Ignaz Günthers entstanden sind.

Nach der Säkularisation wurde die Pfarrei von Bernried unabhängig. Ein eigenes Pfarrhaus wurde 1808 mit staatlicher Unterstützung errichtet. Wenig später, am 31. März 1815, traf das Dorf eine Brandkatastrophe, bei der 29 Häuser zerstört wurden. Die Kirche kam glimpflich davon: Nur die Turmhaube und das Kirchendach mussten erneuert werden. Dabei wurde die Zwiebelhaube durch einen Spitzhelm und das steile Kirchendach durch ein flacheres ersetzt, um dem Geschmack des Klassizismus zu entsprechen. Die Beseitigung der Barockausstattung erfolgte unter Pfarrer Johann Baptist Held, der letztere ab 1870 durch Werke im Stil der Neorenaissance und der Nazarener ersetzen ließ.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien wegen der gewachsenen Einwohnerzahl eine Vergrößerung der Kirche notwendig. Der Münchener Architekt Josef Eisner (Senior) entwarf im Auftrag des Pfarrers Alois Behr die Pläne für den 1909-11 erfolgten Umbau in Zusammenarbeit mit seinem gleichnamigen Sohn. Er ließ den vorderen Teil der Kirche im Bereich von Chorraum und Annakapelle stehen und nur das westliche, über die Annakapelle hinausreichende Joch des Langhauses abbrechen. (Die beiden übriggebliebenen Joche des alten Kirchenschiffs waren wohl als künftiger Platz für die Kinder vorgesehen, wie aus analogen Fällen (beschriftete Umbaupläne für St. Jakob, Dachau) hervorgeht.) An dessen Stelle entstand ein neues, weites Langhaus zu vier Jochen mit einer gliedernden Pilasterordnung im Inneren. Das flache Tonnengewölbe mit seinen gerundeten Stichkappen wurde aus Eisen und Rabitz konstruiert. Eisner beseitigte den Spitzhelm des Turmes, erhöhte den Turm um ein Stockwerk und gab ihm eine geschwungene Zwiebelhaube. Der Umbau wurde zum Teil aus einem einige Jahre zuvor angelegten Kirchenbau-Fond und zum Teil durch eine große Spende Heinrichs von dall'Armi finanziert, der am Ort einen Wohnsitz hatte.

Das Ziel und Ergebnis der Maßnahmen von 1909 war neben der räumlichen Erweiterung ein einheitlich barock wirkender Gesamteindruck außen und innen. Das bedeutete u.a., dass die von Pfarrer Held herbeigeführte Stilmischung aus barocken Resten (Stuck), Neorenaissance- und neugotischen Gegenständen einer neuen "barocken" Einheits-Ausstattung weichen musste. Von der alten Ausstattung wurde lediglich der Stuck (außer am Chorbogen) beibehalten. Der Stuck im neuen Langhaus wurde im frühbarocken Stil durch das Stuckgeschäft Karl Schier in München geschaffen.

Die Entwürfe für die neuen Aufbauten von Hochaltar und zwei Seitenaltären, Kanzel und Orgel lieferte Eisner. Der Hochaltar wurde teils mit "echten", angekauften Barockfiguren bestückt, während die Figuren der Seitenaltäre vollständig neu angefertigt wurden. Den Hochaltar, zwei Altäre und die Kanzel haben Heinrich Ritter von dall'Armi und seine Frau Antonia 1910 bzw. 1913 gestiftet. Für die Annakapelle stiftete der damals im nahen Schloß Hohenberg wohnhafte Baron von Beck einen stilistisch passenden Barockaltar aus Eschenlohe und ließ ihn durch geringfügige Veränderungen (Predellenbild, Stifterwappen) bereichern. Die im Altar enthaltene Annenfigur aus der Zeit um 1700 dürfte ebenfalls damals (um 1910) eingefügt worden sein. Das Retabel selbst war vermutlich in einer Wolfratshausener Werkstatt um 1660 entstanden. Schon 1909 konnte eine neue Orgel in Betrieb genommen werden, eine Stiftung der Freifrau von Simolin.